>> Brautbriefe in Ostfildern

Ein Theologe als Mensch und Liebhaber
OSTILDERN: Szenische Lesung zu den Brautbriefen von Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer - Das Künstlerduo Sago aus Essen, Isabel K. Sandig und Ralf Gottesleben, ist auch privat ein Paar. Und es fühlt sich zur Darstellung berühmter Paare aus der Geschichte hingezogen. Eines dieser Paare besteht aus dem Theologen Dietrich Bonhoeffer und Maria von Wedemeyer.

Am 4. Februar 2006 wäre Bonhoeffer 100 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass waren die Worte des berühmten Theologen, der von den Nazis noch kurz vor Kriegsende im KZ Flossenbürg mit einer Klaviersaite hingerichtet wurde, in vieler Munde. Die Lesung in der Nellinger Versöhnungskirche näherte sich Bonhoeffer von einer etwas anderen Seite – auf Grundlage seiner Briefe an seine Verlobte Maria von Wedemeyer. Sie wurden erst 1992 veröffentlicht und zeugen von einer großen Liebe, deren Erfüllung der Hitlerstaat verhinderte.

Zwei Tische, eine Kerze, eine Lampe, Schreibzeug und Briefpapier: Requisiten und szenische Gestaltung waren bewusst zurückhaltend, sollten doch vor allem die gelesenen Worte zur Geltung kommen. Sie taten es, in einer solchen Dichte, dass man in der Kirche für knapp eineinhalb Stunden die berühmte Stecknadel hätte fallen hören. Die beiden Tische, Bonhoeffer an einem, Maria von Wedemeyer am anderen sitzend, waren in einigem Abstand aufgestellt, dazwischen schwarze Kartons. Ein Symbol für die durch den Krieg und die Verhaftung Bonhoeffers erzwungene räumliche Trennung der beiden.

Ganz im Gegensatz dazu ist die innere Vertrautheit, die sich im Lauf des Briefwechsels entwickelt. Maria von Wedemeyer wurde im April 1924 als drittes von sieben Kindern in Pätzig in der Neumark geboren. Als sie im Januar 1943 Bonhoeffer ihr schriftliches „Ja“-Wort gibt, schreibt sie noch dem „lieben Herr Pastor Bonhoeffer“, und die Ehrfurcht der 18-Jährigen ist ihren Worten anzumerken. In seiner Antwort nennt Bonhoeffer sie dann so, wie er sie einfach nennen muss – Maria. „Ich will kein Bild, ich will Dich“, schreibt er, und zeichnet mit „Dein treuer Dietrich“.

Danach folgte in der Lesung eines der passend ausgesuchten Lieder, über die Wünsche, bei deren Erfüllung man sich mitten im Glück schon wieder nach der Traurigkeit sehnt. Beide, Isabel K. Sandig und Ralf Gottesleben, überzeugten nicht nur durch sehr schöne Lesestimmen und überaus dichte Darstellung, sondern auch gesanglich.

Im Anfang März 1943 sorgt sich Maria um ihren Verlobten: „Ich will wissen, was los ist. Sag mir, dass es Dir gut geht.“ Sie vermutet Schlimmes. Ihre Sorge ist berechtigt: Im April wird ihr Verlobter ins Wehrmachtuntersuchungsgefängnis Tegel eingeliefert. Maria schreibt ihm im Mai von ihren Hochzeitsplänen, im Sommer, wenn Pätzig am Schönsten ist.

In allem schweren leuchtet Bonhoeffers Dankbarkeit hindurch. Dass er Maria so kurz vor seiner Verhaftung kennenlernen durfte, darin sieht er „eine besondere Fügung Gottes“. Er schreibt an Maria: „Unsere Ehe soll ein Ja zu Gottes Erde sein.“ Einer Erde, auf der er als Christ mit beiden Beinen stehen will. Im August 1943, bei 30 Grad Hitze in Berlin, sehnt er sich nach Spaziergängen mit Maria.

„Warte mit mir, ich bitte Dich“, schreibt er seiner Verlobten am 11. März 1945. Einen knappen Monat wurde er von den Nazis ermordet. Doch die Liebe und die Sehnsucht in den Briefen leben weiter. Hätte Bonhoeffer überlebt – sie wären wohl nie an die Öffentlichkeit gelangt.

 



Quelle: 09.12.2006 - Peter Dietrich, Esslinger Zeitung
Foto: Peter Dietrich